Sekundäre Kindeswohlgefährdung:

Kindesworte – Kindeswille – Kindeswohl… und Kindeswohlgefährdung

Sekundäre Kindeswohlgefährdung:

Kindesworte – Kindeswille – Kindeswohl… und Kindeswohlgefährdung

Mein Handy klingelte vor etwa zwei Wochen. Es war Andreas Marquardt . Herr Marquardt kontaktierte mich vor einigen Jahren, als er sich einen meiner Vorträge angehört hatte. Zu dem Zeitpunkt kriselte es in seiner Familie, er hatte sich gerade von seiner Frau getrennt. Für die Betreuung des gemeinsamen Sohnes, Lukas, wurde zunächst ein Wechselmodell vereinbart. Frau Mayer, seine Ex-Lebensgefährtin, änderte nach einigen Monaten ihre Meinung. Ihr war ein traditionelles Residenzmodell lieber, wo sie die Hauptbetreuung des Kindes übernehmen wollte.

Frau Mayer setzte sich damit gerichtlich durch.

Was im Laufe der Jahre folgte, konnte ich durch die gemeinsamen Gespräche verfolgen. Sein Umgang mit Lukas, damals 9 Jahre alt, wurde – scheinbar auf  Wunsch des Kindes– durch Anträge der Kindesmutter gerichtlich nach und nach reduziert.

Das Gericht ließ die Erziehungsfähigkeit beider Eltern sowie die Situation aus kinderrechtlicher Perspektive prüfen. Dabei stellte der Gutachter fest, dass beide Eltern u.U. als erziehungsfähig gelten würden, und dass die Meinung des Kindes nicht als frei bezeichnet werden konnte, was die Kontaktverweigerung zum Vater betraf. Die Bindung von Lukas zu beiden Eltern sei herzlich, belastbar und förderlich für ihn.

Im Laufe der Zeit wurde Lukas 13 und sagte dem Gericht, dass er seinen Vater nicht mehr sehen wollte. Diese Worte stellten einen eindeutigen Kontrast zu allen anderen verfügbaren Informationen über das Wohl des Kindes dar– Interaktionsbeobachtung des Gutachters und anderer Professioneller, vorgelegte Bilder und Videoaufnehmen, etc. Die Bindung zum Vater schien allen nach wie vor innig und warm, Lukas genoss sichtlich den Kontakt zu seinem Vater.

Nichtsdestotrotz befand das zuständige Gericht, dass das Kind mit 13 eine eigenständige Meinung haben könne. Lukas habe sich deutlich dafür ausgesprochen, seinen Vater nicht mehr sehen zu wollen. Der Wille galt als konsistent und stabil im Laufe der Zeit. Er solle respektiert werden – nicht zuletzt um die Selbstwirksamkeit des Kindes nicht zu gefährden.

Daraufhin beschloss das Gericht – auf Antrag von Frau Mayer mit Zustimmung des Jugendamts und des Verfahrensbeistands – , dass der Kontakt Vater-Sohn für zwei Jahre ausgesetzt werden sollte. Herr Marquardt wurde ermahnt, die Entscheidung seines Sohnes zu akzeptieren bzw. zu respektieren. Frau Mayer wurde beauftragt, auf Lukas einzuwirken, damit er seinen Vater wieder sehen möchte.

Das zuständige OLG bestätigte die Entscheidung des zuständigen AGs.

Drei Jahre waren mittlerweile vergangen, ohne dass Herr Marquardt Kontakt zu Lukas hatte. Von Frau Mayer kamen keine Informationen über ihn, weitere Kontaktmöglichkeiten wurden nicht ermöglicht.

Frau Selim ist bangladeschischer Herkunft, sie ist aber in Deutschland aufgewachsen. Auf einem Familienfest in der Heimat sah sie ihren Cousin wieder, Herrn Uddin, der in Bangladesch lebte. Beide waren ledig und wurden füreinander bestimmt, also ihre Ehe wurde innerhalb der Familie arrangiert.

Sie heirateten in der Heimat, dann kamen beide nach Deutschland.

Gemeinsam wurden sie mit zwei Kindern gesegnet.

Es wurde dennoch keine glückliche Ehe. Die Unterschiede durch die verschiedenen Erziehungsumgebungen trotz derselben Kulturkreise wurden maßgebend dafür, dass die Ehe scheiterte. Die Lage in der Familie eskalierte.

Frau Selim wurde depressiv.

Ihre Depression wurde ihr zum Verhängnis.

Aufgrund dessen musste sie laut gerichtlichem Beschluss diejenige in der Familie sein, welche die Wohnung verlässt.

Umgang mit ihren zwei Kindern wurde aber gewährleistet.

Der Kontakt mit ihnen wurde nach und nach reduziert, weil die Kinder es so wollten, auch wenn die Meinung der Kinder unglaubwürdig  und widersprüchlich erschien und der Vater keine Mühe zeigte, den Kontakt herzustellen oder überhaupt zu suchen. Bis der Umgang dann ganz ausgesetzt wurde.

Heute sind es zwei Jahre her, dass Frau Selim ihre Kinder nicht gesehen hat.

Herr Marquardt erzählte mir überglücklich, sein Sohn stünde vor der Tür. Er habe seinen Papa gegoogelt und wurde neugierig. Es war nicht so, wie seine Mutter ihm erzählte. „Dein Papa hat dich vergessen. Er hat eine neue Familie. Du zählst für ihn nicht mehr“.

Er war verwundert – entzückt, und stolz – dass zu Hause alles so geblieben ist, wie das letzte Mal, als er bei ihm gewesen war. „Papa du hast mich nicht vergessen!“

Er erzählte noch, wie seine Mutter ihn einschüchterte und erpresste, damit er entsprechende Aussagen bei Gericht tätigte.

Nun wohnt Lukas bei seinem Vater.

Ein Happyend? Man könnte sich darüber streiten: Nun will er mit seiner Mutter nichts mehr zu tun haben.

Bei Frau Selim gibt es keine Neuigkeiten. Ob sie ihre Kinder je wieder sehen wird, und wenn ja, wann, steht heute in den Sternen. Solange die Kinder nicht wollen…

Eine Kinderwohlgefährdung liegt laut § 1666 BGB vor, wenn „das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes (…) gefährdet [wird] und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden“. Eine primäre Kindeswohlgefährdung würde vorliegen, wenn sie von den Erwachsenen um das Kind (Eltern, Lehrer, Verwandte, etc.) ausgeht. Eine sekundäre Kindeswohlgefährdung würde daraus folgen, dass Kinder bei den Gerichten und Behörden als Rechtssubjekte betrachtet werden, sodass sie in gewisse Verhandlungen involviert werden. Dieser Einbezug könnte für sie belastend sein. Dies wird aber in Kauf genommen, da es sonst nicht möglich wäre, von der Meinung der Kinder zu erfahren. Das ist der Sinn ihrer Betrachtung als Rechtssubjekte.

Die hier bei den o.g. Familien beschriebene Form – Beeinflussung eines Kindes, damit ein kindeswohlwidriges Ziel erreicht wird, in dem Fall, dass ein Elternteil bewusst aus dem Leben des Kindes verbannt wird – könnte als Mischform gelten.

Zu dem Thema – mit dem an sich die Familiengerichte täglich konfrontiert werden – wurde noch zu wenig geforscht.

Lukas war in der Schule ein Musterkind. Das Gymnasium stand ihm bevor. Nach dem Elternstreit wird er dieses Jahr die Realschule nicht schaffen. Ein Jahr muss er nun sitzen bleiben. Er lässt sich zudem psychologisch behandeln.

Ähnliches gilt für die zwei Selim-Kinder.

Das sind die irgendwie sichtbaren Folgen dieser sekundänden Kindeswohlgefährdung. Und sie müssen nicht sein.

Kinder, die in der Form in Gerichtsverhandlungen involviert werden, werden es psychologisch – Entwicklung, Persönlichkeit – kaum schaffen, so viel Streit (direkt auf ihren Schultern ausgetragen) auszugleichen. Denn es ist nicht nur so, dass sie direkt involviert werden. Durch die entsprechenden Entscheidungen werden sie auf eine primäre Bezugsperson verzichten müssen. Die Folgen für ihre psychologische Entwicklung sind potenziell verheerend.

Wo man Kindern etwas Gutes tun will und sie als Subjekte berücksichtigt, so dass man nach ihrere Meinung fragt, so könnte man durch das rechtliche Gewicht dieser Meinung durch deren Beeinflussung genau das Gegenteil erreichen, was man sich vorgenommen hatte: deren Instrumentalisierung.

Also ist es wichtig, dass die Zeichen von den tätigen Professionellen erkannt werden, damit Kinder auch davor geschützt werden können.

Gezielte Ausbildungen mit diesem Ziel gehören zum Programm von Kidundu.

Mein Handy klingelte vor etwa zwei Wochen. Es war Andreas Marquardt . Herr Marquardt kontaktierte mich vor einigen Jahren, als er sich einen meiner Vorträge angehört hatte. Zu dem Zeitpunkt kriselte es in seiner Familie, er hatte sich gerade von seiner Frau getrennt. Für die Betreuung des gemeinsamen Sohnes, Lukas, wurde zunächst ein Wechselmodell vereinbart. Frau Mayer, seine Ex-Lebensgefährtin, änderte nach einigen Monaten ihre Meinung. Ihr war ein traditionelles Residenzmodell lieber, wo sie die Hauptbetreuung des Kindes übernehmen wollte.

Frau Mayer setzte sich damit gerichtlich durch.

Was im Laufe der Jahre folgte, konnte ich durch die gemeinsamen Gespräche verfolgen. Sein Umgang mit Lukas, damals 9 Jahre alt, wurde – scheinbar auf  Wunsch des Kindes– durch Anträge der Kindesmutter gerichtlich nach und nach reduziert.

Das Gericht ließ die Erziehungsfähigkeit beider Eltern sowie die Situation aus kinderrechtlicher Perspektive prüfen. Dabei stellte der Gutachter fest, dass beide Eltern u.U. als erziehungsfähig gelten würden, und dass die Meinung des Kindes nicht als frei bezeichnet werden konnte, was die Kontaktverweigerung zum Vater betraf. Die Bindung von Lukas zu beiden Eltern sei herzlich, belastbar und förderlich für ihn.

Im Laufe der Zeit wurde Lukas 13 und sagte dem Gericht, dass er seinen Vater nicht mehr sehen wollte. Diese Worte stellten einen eindeutigen Kontrast zu allen anderen verfügbaren Informationen über das Wohl des Kindes dar– Interaktionsbeobachtung des Gutachters und anderer Professioneller, vorgelegte Bilder und Videoaufnehmen, etc. Die Bindung zum Vater schien allen nach wie vor innig und warm, Lukas genoss sichtlich den Kontakt zu seinem Vater.

Nichtsdestotrotz befand das zuständige Gericht, dass das Kind mit 13 eine eigenständige Meinung haben könne. Lukas habe sich deutlich dafür ausgesprochen, seinen Vater nicht mehr sehen zu wollen. Der Wille galt als konsistent und stabil im Laufe der Zeit. Er solle respektiert werden – nicht zuletzt um die Selbstwirksamkeit des Kindes nicht zu gefährden.

Daraufhin beschloss das Gericht – auf Antrag von Frau Mayer mit Zustimmung des Jugendamts und des Verfahrensbeistands – , dass der Kontakt Vater-Sohn für zwei Jahre ausgesetzt werden sollte. Herr Marquardt wurde ermahnt, die Entscheidung seines Sohnes zu akzeptieren bzw. zu respektieren. Frau Mayer wurde beauftragt, auf Lukas einzuwirken, damit er seinen Vater wieder sehen möchte.

Das zuständige OLG bestätigte die Entscheidung des zuständigen AGs.

Drei Jahre waren mittlerweile vergangen, ohne dass Herr Marquardt Kontakt zu Lukas hatte. Von Frau Mayer kamen keine Informationen über ihn, weitere Kontaktmöglichkeiten wurden nicht ermöglicht.

Frau Selim ist bangladeschischer Herkunft, sie ist aber in Deutschland aufgewachsen. Auf einem Familienfest in der Heimat sah sie ihren Cousin wieder, Herrn Uddin, der in Bangladesch lebte. Beide waren ledig und wurden füreinander bestimmt, also ihre Ehe wurde innerhalb der Familie arrangiert.

Sie heirateten in der Heimat, dann kamen beide nach Deutschland.

Gemeinsam wurden sie mit zwei Kindern gesegnet.

Es wurde dennoch keine glückliche Ehe. Die Unterschiede durch die verschiedenen Erziehungsumgebungen trotz derselben Kulturkreise wurden maßgebend dafür, dass die Ehe scheiterte. Die Lage in der Familie eskalierte.

Frau Selim wurde depressiv.

Ihre Depression wurde ihr zum Verhängnis.

Aufgrund dessen musste sie laut gerichtlichem Beschluss diejenige in der Familie sein, welche die Wohnung verlässt.

Umgang mit ihren zwei Kindern wurde aber gewährleistet.

Der Kontakt mit ihnen wurde nach und nach reduziert, weil die Kinder es so wollten, auch wenn die Meinung der Kinder unglaubwürdig  und widersprüchlich erschien und der Vater keine Mühe zeigte, den Kontakt herzustellen oder überhaupt zu suchen. Bis der Umgang dann ganz ausgesetzt wurde.

Heute sind es zwei Jahre her, dass Frau Selim ihre Kinder nicht gesehen hat.

Herr Marquardt erzählte mir überglücklich, sein Sohn stünde vor der Tür. Er habe seinen Papa gegoogelt und wurde neugierig. Es war nicht so, wie seine Mutter ihm erzählte. „Dein Papa hat dich vergessen. Er hat eine neue Familie. Du zählst für ihn nicht mehr“.

Er war verwundert – entzückt, und stolz – dass zu Hause alles so geblieben ist, wie das letzte Mal, als er bei ihm gewesen war. „Papa du hast mich nicht vergessen!“

Er erzählte noch, wie seine Mutter ihn einschüchterte und erpresste, damit er entsprechende Aussagen bei Gericht tätigte.

Nun wohnt Lukas bei seinem Vater.

Ein Happyend? Man könnte sich darüber streiten: Nun will er mit seiner Mutter nichts mehr zu tun haben.

Bei Frau Selim gibt es keine Neuigkeiten. Ob sie ihre Kinder je wieder sehen wird, und wenn ja, wann, steht heute in den Sternen. Solange die Kinder nicht wollen…

Eine Kinderwohlgefährdung liegt laut § 1666 BGB vor, wenn „das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes (…) gefährdet [wird] und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden“. Eine primäre Kindeswohlgefährdung würde vorliegen, wenn sie von den Erwachsenen um das Kind (Eltern, Lehrer, Verwandte, etc.) ausgeht. Eine sekundäre Kindeswohlgefährdung würde daraus folgen, dass Kinder bei den Gerichten und Behörden als Rechtssubjekte betrachtet werden, sodass sie in gewisse Verhandlungen involviert werden. Dieser Einbezug könnte für sie belastend sein. Dies wird aber in Kauf genommen, da es sonst nicht möglich wäre, von der Meinung der Kinder zu erfahren. Das ist der Sinn ihrer Betrachtung als Rechtssubjekte.

Die hier bei den o.g. Familien beschriebene Form – Beeinflussung eines Kindes, damit ein kindeswohlwidriges Ziel erreicht wird, in dem Fall, dass ein Elternteil bewusst aus dem Leben des Kindes verbannt wird – könnte als Mischform gelten.

Zu dem Thema – mit dem an sich die Familiengerichte täglich konfrontiert werden – wurde noch zu wenig geforscht.

Lukas war in der Schule ein Musterkind. Das Gymnasium stand ihm bevor. Nach dem Elternstreit wird er dieses Jahr die Realschule nicht schaffen. Ein Jahr muss er nun sitzen bleiben. Er lässt sich zudem psychologisch behandeln.

Ähnliches gilt für die zwei Selim-Kinder.

Das sind die irgendwie sichtbaren Folgen dieser sekundänden Kindeswohlgefährdung. Und sie müssen nicht sein.

Kinder, die in der Form in Gerichtsverhandlungen involviert werden, werden es psychologisch – Entwicklung, Persönlichkeit – kaum schaffen, so viel Streit (direkt auf ihren Schultern ausgetragen) auszugleichen. Denn es ist nicht nur so, dass sie direkt involviert werden. Durch die entsprechenden Entscheidungen werden sie auf eine primäre Bezugsperson verzichten müssen. Die Folgen für ihre psychologische Entwicklung sind potenziell verheerend.

Wo man Kindern etwas Gutes tun will und sie als Subjekte berücksichtigt, so dass man nach ihrere Meinung fragt, so könnte man durch das rechtliche Gewicht dieser Meinung durch deren Beeinflussung genau das Gegenteil erreichen, was man sich vorgenommen hatte: deren Instrumentalisierung.

Also ist es wichtig, dass die Zeichen von den tätigen Professionellen erkannt werden, damit Kinder auch davor geschützt werden können.

Gezielte Ausbildungen mit diesem Ziel gehören zum Programm von Kidundu.